Weltweit steigt die Zahl der Menschen, die ihre Heimatländer verlassen müssen. Geflüchtete Frauen und Männer sind vor, während und nach der Flucht vielfältigen Belastungen ausgesetzt und entwickeln in ihren Ankunftsländern häufiger psychische Störungen. Dennoch nehmen sie psychotherapeutische Hilfsangebote deutlich seltener in Anspruch als nicht geflüchtete Personen.
Frühere Arbeiten forderten eine stärkere theoretische Fundierung, um alltägliche Einflussfaktoren psychosozialer Versorgung besser analysieren zu können. Das ökosystemische Modell wurde vorgeschlagen, um soziale Determinanten systematisch zu erfassen. Die vorliegende Dissertationsschrift greift diese Forderung auf und wendet das Modell auf qualitative Interviewdaten zur psychosozialen Versorgung geflüchteter Menschen an. So wird ein Beitrag zur theoretischen Fundierung in der Versorgungsforschung geleistet.
11 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie 12 geflüchtete Frauen und Männer wurden auf Deutsch und Arabisch interviewt. Die Gespräche behandelten informelle und formelle Versorgungsaspekte im Kontext psychischer Gesundheit. Die Transkripte wurden in interdisziplinärer und mehrsprachiger Zusammenarbeit mittels Thematic Analysis ausgewertet. Dabei wurden fünf Themenbereiche identifiziert: Selbstfürsorge, Familie und Freunde, professionelle Unterstützung, Hilfe durch andere Geflüchtete sowie gesellschaftliche Unterstützung. Auf allen Ebenen zeigten sich Handlungsmöglichkeiten, aber auch Einschränkungen. Zudem wurden Wechselwirkungen zwischen den Ebenen thematisiert.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die psychosoziale Versorgung geflüchteter Menschen in Deutschland als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden sollte. Die übertragbaren Ergebnisse der Thematic Analysis bestätigen den Nutzen des ökosystemischen Modells, das neue Perspektiven für Analyse, Kommunikation und Intervention eröffnet. Ein gut vernetztes interdisziplinäres Vorgehen erscheint notwendig, um systemische Zusammenhänge angemessen zu berücksichtigen.
Die Dissertation liegt auf Englisch vor.